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Helga Mitterbauer (Graz) Export/Import – Macht/Ohnmacht. Transkulturelle Zirkulation von Wissen Abstract Ausgehend von einem Zitat aus James Joyces Ulysses werden in einem theoretischen Prolog Konzepte hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf die Untersuchung von Formen und Grenzen von Wissenstransfers bzw. die Definitionsmacht in unterschiedlichen Medien überprüft. Dabei werden Erkenntnisse aus der Kulturtransferforschung mit der Netzwerktheorie verknüpft, die sich zur Analyse auf soziologischer Ebene ebenso anbieten wie Bourdieus Feldtheorie oder die Systemtheorie von Luhmann. Positionen aus den Postcolonial Studies oder der Intertextualitätsforschung erlauben einen Schnitt auf diskursiver bzw. semiotischer Ebene, während sich zur Untersuchung von Machtkonstellationen Anregungen von Bourdieu, Foucault und Hannah Arendt sinnvoll erscheinen. Vor diesem theoretischen Hintergrund werden im Hinblick auf Literatur Jung Wiens 1900 und deren medialen Repräsentation und Rezeption in Literatur- und Kulturzeitschriften folgende Thesen gebildet: 1. Die Grenzen des Wissenstransfers werden weniger zwischen geographischen Räumen gezogen als zwischen sozialen Gruppen. Technische Erfindungen ermöglichen um 1900, dass Zeitungen oder andere Presseerzeugnisse sehr rasch und in hohen Auflagen produziert werden können. Ein hochentwickeltes Postsystem, Telefon und Telegraphie sowie die Eisenbahn beschleunigen die Überwindung großer räumlicher Distanzen und damit die Distribution über weite Strecken. Allerdings partizipiert an diesem neuen Wissenstransfer nur eine kleine, gebildete bürgerliche Schicht. 2. Der Wissenstransfer findet nicht zwischen Nationen, sondern zwischen den Metropolen statt, in denen Gleichgesinnte, Gruppen mit ähnlichen Interessen einander gegenseitig informieren. Die Metropolisierung impliziert einen Transfer zwischen Zentrum und Peripherie, wobei zentrifugale und zentripedale Tendenzen einander überlagern bzw. unterminieren. 3. Der Wissenstransfer läuft häufig in trilateralen Konstellationen ab, und weist oft politische Implikationen auf. Es kommt zu Überschneidungen des kulturellen und des politischen Feldes. 4. Wissenstransfers hängen oft von den Durchsetzungsstrategien und Machtkonstellationen ab. Eine einflussreiche Position bei einer Zeitschrift bzw. enge internationale Kontakte zu haben, erhöht das soziale Kapital. Im Hauptteil des Vortrags werden die Thesen anhand wirkmächtiger europäischer Zeitschriften um 1900 überprüft. Den Ausgang bildet die Wiener Wochenzeitung Die Zeit, die von Hermann Bahr mitherausgegeben wurde und durch ihre außergewöhnlich starke transnationale Ausrichtung besticht. Der Blick auf den in Paris erschienen Mercure de France öffnet die Perspektive für den engen Konnex zwischen Wien und Paris, der zu einem Teil auch auf einer gemeinsamen Ablehnung gegenüber Berlin basiert. Wenig beachtet war bislang die Rezeption Jung Wiens in Russland, wo die in St. Petersburg herausgegebene Zeitschrift Severnyi vestnik ihre Leser bereits ab 1895 über die Wiener Moderne informierte. Enge Kontakte gab es auch zu Zeitschriften in Lemberg, Krakau oder Prag, Ljubljana, Zagreb und selbstverständlich in Budapest. Gerade das Verhältnis zwischen den einzelnen Städten der Österreich-Ungarischen Monarchie ist oft geprägt durch anfängliche Orientierung an Wien und spätere Hinwendung vorzugsweise zu Berlin oder Paris. Häufig werden Essays und Beiträge von Mitarbeitern an Zeitschriften in anderen Orten übernommen („Pariser Briefe“ bzw. „lettres allemande“ usw.), manche AutorInnen erst über Umwege bekannt. Dies lenkt die Perspektive schließlich auf transnationale AutorInnen, die schwerlich einer bestimmten Nationalkultur zurechnet werden können, und deren Hybridisierung als Erklärung für ihre besondere Kreativität herangezogen wird. |
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